Der Notfallplan nach der Benchmark Verordnung: Hintergründe und aufsichtsrechtliche Anforderungen

Marktteilnehmer, die Indizes in Finanzprodukten verwenden und diese Finanzprodukte Kunden anbieten, sind verpflichtet, sog. Notfallpläne für den Umgang mit Indizes zu erstellen, für den Fall, dass ein verwendeter Index irgendwann nicht mehr zur Verfügung steht. Was genau ist hierbei zu beachten?

Die Verordnung (EU) 2016/1011 vom 8. Juni 2016 über Indizes, die bei Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten als Referenzwert oder zur Messung der Wertentwicklung eines Investmentfonds verwendet werden (“Benchmark Verordnung”)  regelt die regulatorischen Anforderungen an Administratoren, Kontributoren und Verwender eines Index als Referenzwert für ein Finanzprodukt sowohl hinsichtlich der Erstellung und Verwendung der Indizes als auch der Daten, die dazu übermittelt werden. Sie ist die Reaktion der EU auf die Manipulation von LIBOR und EURIBOR. Die Verordnung will sicherstellen, dass Indizes, die in der EU hergestellt und als Referenzwert verwendet werden, nicht nochmals Gegenstand solcher Manipulationen sein können.

Den neuen regulatorischen Anforderungen der Benchmark Verordnung entsprechen die momentan vom Markt als Referenzwert verwendeten Indizes zum Teil nicht. So stehen bspw. der LIBOR und auch EONIA nicht im Einklang mit den Anforderungen der Benchmark Verordnung. Nach den in der Verordnung geregelten Übergangsvorschriften darf ab dem 01. Januar 2020 kein Neugeschäft auf nicht mit den Vorgaben der Benchmark Verordnung übereinstimmenden Indizes abgeschlossen werden. Als Nachfolger für EONIA hat die Arbeitsgruppe der Europäischen Zentralbank am 13. September 2018 daher ESTER empfohlen.

Nach Art. 28 Abs. 2 der Benchmark Verordnung sind beaufsichtigte Unternehmen, die einen Referenzwert verwenden, verpflichtet, sog. Notfallpläne aufzustellen. Notfallpläne sind robuste schriftliche Pläne, in denen sie Maßnahmen darlegen, die sie ergreifen, wenn sich ein Referenzwert wesentlich ändert oder nicht mehr bereitgestellt wird. Aufgrund des zukünftigen Wegfalls von z.B. LIBOR und EONIA rücken die Notfallpläne immer mehr in den Fokus. Die beaufsichtigten Unternehmen sind seit dem 01. Januar 2018 verpflichtet, Notfallpläne vorzuhalten. In der Praxis besteht zur Zeit aber noch viel Unsicherheit über die konkreten aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Notfallpläne. Dieser Beitrag soll die rechtlichen Anforderungen, die an die Notfallpläne von der Benchmark Verordnung gestellt werden, im Überblick darstellen. Dabei werden auch die neuesten Aussagen der European Securities and Marktes Authority (“ESMA”)  berücksichtigt.

Wer muss einen Notfallplan aufstellen?

Verpflichtet einen Notfallplan aufzustellen, sind beaufsichtigte Unternehmen, die einen Referenzwert verwenden. Unter die beaufsichtigten Unternehmen fallen etwa Kreditinstitute nach der Eigenkapital-Richtlinie (“CRR”), Wertpapierfirmen im Sinne der Zweiten Finanzmarktrichtlinie (“MiFID II”) und Verwalter Alternativer Investmentfonds (“AIFM”)  nach der AIFM-Richtlinie. Verwendet wird ein Referenzwert etwa dann, wenn er als Bezugsgrundlage für ein Finanzinstrument dient (z.B. Derivate, die sich auf Indizes beziehen) oder wenn er dazu dient, die Performance Fee eines Investmentfonds zu bestimmen.

Welche formalen Anforderungen werden an den Notfallplan gestellt?

Die Benchmark Verordnung regelt, dass der Notfallplan schriftlich aufzustellen ist. Das heißt, er muss in einer lesbaren Form verfasst und auf einem dauerhaften Datenträger, der sich an einem bekannten Archivierungsort befindet, gespeichert sein. Diese formalen Voraussetzungen stellen sicher, dass der Notfallplan auf Anfrage der Aufsichtsbehörde, in Deutschland der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (“BaFin”), vorgelegt werden kann.

Außerdem ist geregelt, dass der Notfallplan robust sein muss. Die ESMA konkretisiert diese Vorgabe der Verordnung dahingehend, dass ein Notfallplan dann robust ist, wenn er operationelle Verfahren und detaillierte Handlungsanweisungen sowie die relevanten Kommunikationskanäle für verschiedene Notfallszenarien und Eventualitäten enthält.

Was wird inhaltlich gefordert?

Inhaltlich fordert die Benchmark Verordnung, dass der Notfallplan die Maßnahmen darlegt, die ergriffen würden, sollte ein als Referenzwert verwendeter Index sich wesentlich ändern oder wegfallen (sog. Notfallereignis). Was genau unter einer wesentlichen Änderung bzw. eines Wegfalles zu verstehen ist, wird in der Verordnung nicht legal definiert. Wann eine Änderungen wesentlich ist, ist daher eine Wertungsfrage, die vor allem auch von der Marktbedeutung des Index abhängt. Ein Wegfall ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Index nicht mehr veröffentlicht, ermittelt oder aktualisiert wird oder wenn dem Administrator die Zulassung bzw. die Registrierung entzogen wird.

Hinsichtlich der Maßnahmen, die im Falle eines solchen Notfallereignisses ergreifen werden, konkretisiert die ESMA, dass hierbei generell Art, Größe und Bedeutung des Referenzwertes zu berücksichtigen sind. Genauere inhaltliche Vorgaben werden indes nicht gemacht.

Damit der Notfallplan wirkungsvoll sein kann, müssen jedoch zunächst die Zuständigkeiten im Falle des Eintritts eines Notfallereignisses verteilt werden. Das heißt, es ist vorab festzulegen, welche Personen und Abteilungen die zentrale Koordination übernehmen und wer welche Entscheidungszuständigkeiten hat. Weiterhin muss im Falle eines Notfallereignisses eine Art Bestandsaufnahme erfolgen, indem z.B. ermittelt wird, welcher Referenzwert überhaupt betroffen ist und auf welche Produkte Auswirkungen entstehen. Weiterhin sind das konkrete Vorgehen im Notfall sowie die Entscheidungsmechanismen darzulegen.

Soweit möglich und angemessen sind zudem alternative Referenzwerte zu benennen, die anstelle des nicht mehr bereitgestellten Referenzwertes als Bezugsgrundlage verwendet werden können, unter Angabe der Gründe, warum der alternative Referenzwert als solcher geeignet ist. Nimmt man es hinsichtlich der Benennung eines alternativen Referenzwertes ganz genau, müssten die Verpflichteten, die ihn nach dem Eintritt eines Notfallereignisses verwenden wollen, auch für den alternativen Referenzwert bereits einen Notfallplan vorhalten, um den Anforderungen der Benchmark Verordnung zu entsprechen.

Auswirkungen auf die Vertragsbeziehungen mit dem Kunden

Die Verpflichteten müssen sich in der Vertragsbeziehung mit ihren Kunden an den von ihnen aufgestellten Notfallplänen orientieren. Hier ist zum jetzigen Zeitpunkt noch vieles offen und ungeklärt. Klar ist lediglich, dass das Erfordernis für sämtliche Neuverträge, die ab dem 01. Januar 2018 abgeschlossen wurden, gilt. Altverträge müssen nur insoweit angepasst werden, als das praktikabel und nach bestem Bemühen möglich ist.

Bis jetzt gibt es keinen genauen Vorgaben dazu, wie die Kundeninformation aussehen soll. Während die Ausführungen der ESMA hierzu in englischer Sprache eher darauf schließen lassen, dass dem Kunden die Notfallpläne konkret offenzulegen sind, könnte es aber auch ausreichen, den Kunden lediglich auf die Existenz eines Notfallplanes hinzuweisen. Es wird erwartet, dass die BaFin einen solchen Hinweis ausreichen lassen wird. Die Information kann dann je nach Produkt und Adressatenkreis unterschiedlich ausfallen und je nach nationalem Recht sowohl im Vertrag selbst, als auch in der vertraglichen Dokumentation im weiteren Sinne erfolgen. Die ESMA führt insoweit als Beispiel an, dass, soweit ein Fondsprospekt nach nationalem (Vertrags-)Recht als Teil der vertraglichen Dokumentation qualifiziert, die Offenlegung des bzw. den Hinweis auf den Notfallplan daher in einem solchen Fondsprospekt erfolgen könne.

Erfordernis der Planpflege

Die Benchmark Verordnung verlangt von den Verpflichteten auch, den einmal erstellen Notfallplan zu pflegen. Die ESMA sieht dieses Erfordernis jedenfalls dann als erfüllt an, wenn alle relevanten Faktoren kontinuierlich überwacht werden und der Notfallplan ggf. entsprechend aktualisiert wird. Keine Vorgaben gibt es momentan etwa hinsichtlich Überprüfungsintervallen, also ob zum Beispiel eine quartalsweise Überprüfung der Pläne als ausreichend erachtet wird.

Fazit

Auch wenn die ESMA an der einen oder anderen Stelle Orientierungshilfe gegeben hat, sind Einzelheiten im Rahmen der Erstellung des Notfallplans immer noch ungeklärt. Das betrifft insbesondere die Information des Kunden über den Notfallplan in der vertraglichen Dokumentation des jeweiligen Finanzproduktes. Diese Unsicherheiten machen die Umsetzung der durch die Benchmark Verordnung aufgestellten Vorgaben für die Verpflichteten nicht gerade leicht. Bis es detailliertere Vorgaben von Seiten der Aufsichtsbehörden gibt, sollten sich die betroffenen Marktteilnehmer – wie immer bei neuer Regulierung – an dem Wortlaut der Verordnung orientieren und für sich selbst entscheiden, inwieweit sie die unpräzisen Vorgaben auf ihr Geschäftsmodel bezogen ausfüllen wollen.

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