Ein Interview mit Inka Winter von ESG Screen 17
Taylor Wessing Partnerin Verena Ritter-Döring im Gespräch mit Inka Winter von ESG Screen 17
VRD: Nachhaltigkeit ist gerade ein großes Thema. Fangen wir mal ganz vorne an. Was ist eigentlich mit Nachhaltigkeit gemeint?
Inka Winter: In der Finanzindustrie versteht man unter
Nachhaltigkeit die Einbeziehung von Umwelt-, Sozialen und
Unternehmensführungskriterien (ESG-Faktoren) in die etablierten Prozesse.
ESG ist das Kürzel, das für Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung
steht und somit zum Synonym für Nachhaltigkeit wurde. Jedoch gibt es auch hier
die verschiedensten Auslegungen und Interpretationen. Internationale Normen wie
der UN Global Compact, die ILO (International Labour Organisation) und/oder IFC
(International Finance Corporation) Standards werden häufig herangezogen, um
der Nachhaltigkeit einen nachvollziehbaren Rahmen zu geben. Gleichwohl gibt es
nicht die EINE Definition von Nachhaltigkeit, sondern eine Vielzahl von unterschiedlichen
Interpretationen, was Nachhaltigkeit bedeutet.
Asset Owner legen verschiedene Schwerpunkte und definieren unterschiedlich,
was sie als nachhaltig ansehen. Asset Manager haben unterschiedliche
Auslegungen, was Nachhaltigkeit bedeutet und welche Kriterien sie ein- oder
ausschließen.
Unstrittig hingegen ist, dass ESG-Kriterien einen Einfluss auf die
finanzielle Performance von sowohl Investments als auch Krediten haben, auch
wenn die genaue Definition dessen, was wann und wie Auswirkungen hat, noch
klarer definiert werden muss. Reputationsrisiken auf Aktienkurse oder die
Risiken durch sogenannte stranded Assets (z.B. wirtschaftliche Risiken fossiler
Rohstoffe) haben schon in den letzten Jahren die Auswirkungen auf finanzielle
Performance gezeigt.
Somit ist das einhellige Verständnis, dass eine angemessene Einbeziehung der
ESG-Kriterien in die etablierten Investment- und Kreditprozesse notwendig ist.
VRD: Was macht Ihr bei ESG Screen 17?
Inka Winter: Wir stellen unseren Kunden
Nachhaltigkeitsdaten und -analysen zur Verfügung, die es ihnen ermöglichen,
Nachhaltigkeitsinformationen in Risiko-, Kredit- und Investmentprozesse zu
integrieren. Darüber hinaus unterstützen wir Investoren, Finanzinstitute und Asset
Owner dabei, eigene Nachhaltigkeitsprofile zu erstellen und darauf basierend
nachhaltige Investmentstrategien umzusetzen. Wir ermöglichen die Umsetzung des
individuellen bzw. institutionellen Nachhaltigkeitsverständnisses.
So haben wir zum Beispiel Stiftungen, die als Stiftungszweck u.a. einen
starken Fokus auf das Thema Klima & Wasser in ihren Anlagestrategien
zentral umgesetzt haben. Durch die individuelle Festlegung von
Ausschlusskriterien und vor allem aber durch die schwerpunktmäßige Ausrichtung
auf einzelne SDGs (Sustainable Development Goals) wurde ein Investmentuniversum
festgelegt, in das dann entsprechend investiert wird.
Wir nutzen Daten von verschiedenen anerkannten
Nachhaltigkeits-Datenanbietern und bereiten diese Daten methodisch so auf, dass
wir sie den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen zuordnen können. Die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele
(SDGs) sind ein perfektes Rahmenwerk, um das Thema Nachhaltigkeit
zielgerichtet, klar definiert und messbar umsetzen zu können. Darüber hinaus
werden sie auch von Seiten der EU und der Regulatoren im BaFin Merkblatt, als
auch in der EU-Taxonomie und der kommenden Transparenzverordnung genannt.
Unser Team von Datenwissenschaftlern und Nachhaltigkeitsexperten stellt
unseren Kunden transparente Informationen auf Unternehmens- bzw.
Emittentenebene zur Verfügung. Diese werden von Investoren, Vermögensinhabern
wie UHNWIs, Family Offices oder Stiftungen genutzt, , um die Nachhaltigkeit
ihrer Assets nach den ihnen wichtigen Kriterien (oder Werten) zu bewerten
ebenso wie zur weiteren Umsetzung dieser individuellen Nachhaltigkeitskriterien
in Investmentstrategien.
Darüber hinaus
agieren wir für Kunden als ausgelagertes ESG-Team, und unterstützen sie bei der
Umsetzung von regulatorischen Anforderungen und der Auflegung innovativer
nachhaltiger Investmentlösungen.
VRD: Welche Daten brauchen
die Finanzinstitute/Banken, um beurteilen zu können, ob ein Produkt nachhaltig
ist? Woher bekommt man diese Daten?
Inka Winter: Banken und Finanzinstitute benötigen Daten,
um mögliche finanzielle Auswirkungen von Nachhaltigkeitsfaktoren zu beurteilen
bzw. die entsprechenden Nachhaltigkeitskriterien, die auf Ebene der Unternehmen,
in die direkt oder indirekt investiert wird, relevant sind, finanziell
einschätzen zu können.
Hier sehe ich zwei Komponenten: zum einen die Verfügbarkeit und Qualität
derzeit verfügbaren Daten, zum anderen die Schwierigkeit zu erkennen, welche
Nachhaltigkeitsdaten relevant sind – was je nach Sektor und Geschäftsmodell
variiert.
Derzeit sind die Daten zur Nachhaltigkeitsbewertung sehr heterogen und
stammen in erster Linie aus den wenigen öffentlichen verfügbaren Quellen (z.B.
Geschäftsberichte, CSR-Berichte) und NGO-Berichten. Zusätzlich erheben manche
ESG-Researchagenturen Informationen direkt von Unternehmen, z.B. über
Fragebögen. Auf dieser Basis erstellen ESG-Researchagenturen Einschätzungen und
Bewertungen.
Jedoch sind verfügbare Nachhaltigkeitsdaten wenig einheitlich, es gibt
keine klar definierten Reportingstandards für Unternehmen, d.h. zu welchen Indikatoren Daten verfügbar
und veröffentlicht sind, variiert stark. Auch die Informationen und
Einschätzungen der verschiedenen Agenturen unterscheiden sich aufgrund
unterschiedlicher Methoden und Ansätze und resultieren daher in unterschiedlichen
Nachhaltigkeitsbewertungen für Unternehmen.
Daran knüpft sich die zweite Ebene: Es ist nicht einfach zu erkennen,
welche Nachhaltigkeitsfaktoren für welche Industrie und welche Unternehmen zur
Einschätzung von Risiken und Potentialen relevant sind, oder welche Faktoren
beachtet werden müssen zur Erzielung von dedizierten Nachhaltigkeitszielen, wie
z.B. der Reduktion des CO2 Ausstoßes oder der Verbesserung von
Arbeitsbedingungen.
Orientierung können hier internationale Rahmenwerke wie der UN Global
Compact bieten oder auch Reporting Standards von z.B. SASB (Sustainability
Accounting Standards Board) oder GRI (Global Reporting Initiative).
Um dedizierte Nachhaltigkeitsziele zu definieren und entsprechenden Impact
messen zu können, bieten sich die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele als Rahmenwerk an.
Mit einer klaren Definition von Bewertungskriterien zur Erreichung der Ziele
ist es dann möglich, die notwendigen Daten zu erheben und darauf basierend eine
Einschätzung vorzunehmen.
Der Markt der Datenquellen wird sich sicherlich weiter verändern. Gerade
auf Seiten der ESG-Researchagenturen sieht man eine fortschreitende
Konsolidierung im Markt. Gleichzeitig widmen sich immer mehr Marktteilnehmer
der Frage nach dem woher kommen die Daten,
was zu einer gewissen Dynamik für neue Anbieter sorgt. Last but not least nimmt
die öffentliche Verfügbarkeit von Nachhaltigkeitsdaten auch mehr und mehr zu.
VRD: Ist zu erwarten, dass
mit fortschreitender Regulierung – wie gerade durch die Transparenz- und die
Taxonomie-Verordnung – die Datenlage besser und besser vergleichbar wird?
Inka Winter: Das glaube ich schon. Regulierung ist immer ein viel diskutiertes Feld, aber es soll ja dazu dienen, zu identifizieren was wirklich nachhaltig ist, um so Vergleiche zwischen Investmentlösungen zu ermöglichen. Dafür braucht es Vorgaben dazu, was als nachhaltig angesehen werden darf. Da setzt die europäische Regulierung an. Die EU-Taxonomie startet mit dem Thema Klima und hier mit 2 von 6 Zielen. In diesen zwei definierten Zielen (Klima Mitigation, Klima Adaption) ist zumindest schon einmal definiert, welche wirtschaftliche Aktivität als nachhaltig angesehen werden darf.
Basierend auf diesen Definitionen, werden jetzt technische
Regulierungsstandards ausgearbeitet. Hier erhofft sich der Markt dann mehr
Klarheit darüber, wie die einzelnen Aktivitäten gemessen werden sollen. Darauf
aufbauend, kann man dann sehr viel klarer sehen, welche Daten benötigt werden
für eine entsprechende Einschätzung. Dann werden auch die Unternehmen sehr viel
besser wissen, welche Daten sie für ihre Investoren veröffentlichen müssen.
Im Rahmen der Transparenzverordnung werden darüber hinaus Daten benötigt,
anhand derer ein Finanzmarktteilnehmer/Finanzberater nicht nur die
Nachhaltigkeitsrisiken und nachteiligen Nachhaltigkeitsauswirkungen einschätzen
kann, sondern auch, wie die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen bei
nachhaltigen Produkten gemessen und erreicht werden kann.
Für die Definition von konkreten und messbaren Nachhaltigkeitszielen und um
festzulegen, was denn nachteilige Nachhaltigkeitsauswirkungen sind, benötigt es
ebenso Rahmenwerke. Hier bieten sich die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele als
wichtiges und hilfreiches Rahmenwerk an, diese werden sowohl in der
EU-Taxonomie als auch in der Transparenzverordnung genannt.
VRD: Die
Transparenzverordnung gibt ja nun vor, dass der Kunde künftig pro Finanzprodukt
genau wissen soll, was daran nachhaltig ist. Wie muss ich mir das vorstellen?
Kann es immer noch sein, dass dasselbe Produkt von zwei Beratern
unterschiedlich beurteilt wird? Was kann der Kunde dann damit anfangen?
Inka Winter: Ich fürchte, es ist illusorisch zu
glauben, dass mit der kommenden Regulatorik alle Marktteilnehmer alles
identisch bewerten, messen und einschätzen werden. Dafür ist die Datenlage zu
heterogen und die Definition von nachhaltig zu subjektiv.
Was durch die Regulatorik jedoch erreicht werden kann, ist, dass man als
Anleger zumindest die gleichen Kriterien miteinander vergleichen kann und klar
aufgezeigt wird, WARUM der Fonds als nachhaltig gekennzeichnet ist.
Hier sehe ich auch eine Zweiteilung: Die Beurteilung der Integration von
Nachhaltigkeitskriterien in Entscheidungs- und Beratungsprozesse sowie die
Handhabung nachteiliger Nachhaltigkeitsauswirkungen haben sicher mehr Raum für
Subjektivität, als die Aussage darüber, was als ökologisch und soziale beworben
wird, und wie die Nachhaltigkeit in einem Fonds gemessen und erreicht werden
soll.
Zusammenfassend gesagt, es wird dem Anleger auf jeden Fall sehr viel klarer
aufgezeigt, auf was er achten sollte, und sowohl Finanzmarktteilnehmer als auch
Finanzberater haben viel mehr Klarheit zu was sie Auskunft geben müssen. Somit
wird dem gesamten Thema Nachhaltigkeit ein viel klarerer Rahmen gegeben und
hoffentlich die notwendige Skalierung und Messbarkeit verliehen, so dass als
ein Effekt dann potentielles Greenwashing minimiert wird.
VRD: Kann denn die kommende Regulierung
so die Notwendigkeit der Umleitung von Finanzströmen unterstützen oder ist sie
nicht eine so große Bürde, die lediglich zu mehr Kosten für Finanzdienstleistungsinstitute/Asset
Manager und damit auch für den Kunden führt?
Inka Winter: Das Risiko besteht. Auch besteht das
Risiko, dass man das Thema Nachhaltigkeit oder nachhaltige Investitionen zu eng
definiert und so innovative Lösungen und Investitionsmöglichkeiten ausgrenzt.
Trotzdem ist es unumgänglich, dass Nachhaltigkeit als das was es ist,
nämlich ein finanziell relevantes Risiko- und Ertragspotential, wahrgenommen
und in alle Prozesse integriert wird. Dafür braucht es klare Messfaktoren,
Benchmarks und auch Prüfungsprozesse.
Um Ziele wie CO2-Neutralität oder die Inka Winter: zu erreichen,
braucht es nicht nur alle Marktteilnehmer, sondern auch Rahmenwerke und Daten,
die es ermöglichen Fortschritte zu messen und entsprechend Gelder zu
allokieren.
Insofern ist die Regulierung vielleicht ein zu dieser Zeit notwendiges
Übel, aber sie bietet auch Chancen für Klarheit und Definitionen. Es ist
unumgänglich, dass Nachhaltigkeitsrisiken systematisch in Risikoprozesse
integriert werden und dabei ist eine klare Definition dessen, was damit gemeint
ist, unumgänglich. Gleiches gilt für die nachteiligen
Nachhaltigkeitsauswirkungen.
Die Chance liegt doch darin, dass es somit dem Finanzmarkt ermöglicht wird,
sich an der Stelle zukunftsorientiert aufzustellen. Unstrittig ist jedoch, dass
das Ressourcen und Knowhow für den Aufbau sowie entsprechende Anpassungen in
Systemen der Finanzdienstleister erfordert. Das generiert natürlich im ersten
Schritt zunächst Kosten.
Anders als bei anderen regulatorischen Anforderungen sehe ich jedoch bei
der jetzt kommenden Regulierung auch eine große Möglichkeit für die betroffenen
Marktteilnehmer, attraktive und langfristige Business Cases zu generieren.
VRD: Welcher Business case
zeichnet sich hier Deiner Meinung nach ab?
Inka Winter: Der Markt für nachhaltige Geldanlagen ist
in den letzten Jahren signifikant gewachsen. Die in nachhaltigen Investments
allokierten Assets under Management lagen lt. GSIA (Global Sustainable
Investment Alliance) Ende 2018 bei über 30 Billionen USD und es ist nicht
absehbar, dass sich der Trend ändert. Die Finanzierung der 17 UN SDGs benötigt
ca. 5-7 Billionen USD pro Jahr und auch die Summen, die zur Bekämpfung des
Klimawandels benötigt werden, sind signifikant. Allein die Industriestaaten
(developed countries) müssten 4,4 Billionen USD zur Erreichung der Pariser
Klimaziele aufbringen.
Durch die kommende Regulierung werden Marktteilnehmer aufgefordert, das
Thema Nachhaltigkeit ihren eigenen Anforderungen und den Anforderungen ihrer
Kunden entsprechend umzusetzen. Die Expertise, die durch die notwendige
Integration von Nachhaltigkeit in den kompletten Produktzyklus und die Beratung
aufgebaut wird, kann doch auch genutzt werden, um innovative Finanzierungs- und
Investmentlösungen zu entwickeln.
Die Kundennachfrage nach nachnachhaltigen und zugleich maßgeschneiderten
Lösungen wächst stetig und bietet doch ein großes Potential zur
Neukundengewinnung bzw. Kundenbindung.
Nach der Transparenzverordnung müssen Produkte, die zur Erreichung
nachhaltiger Ziele aufgelegt wurden, aufzeigen, wie die Ziele konkret
formuliert sind und wie Fortschritte gemessen werden.
Die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele sind dafür ein geeignetes Rahmenwerk, weil
sie definieren, wo wir hinmüssen im
Bereich Nachhaltigkeit. An diesen Zielen kann man nicht nur die Messung
ausrichten, sondern es lassen sich sehr gezielt Investmentthemen definieren.
Natürlich gibt es noch nicht flächendeckend Daten, um alles zu bewerten und
zu messen, jedoch bieten auch diese Datenlücken Möglichkeiten. Zum Beispiel
bedienen wir mit der Screen17 Kunden mit umfassenden Informationen zu Verfügbarkeit
und Qualität der verfügbaren Unternehmensdaten im Hinblick auf die 17
Nachhaltigkeitsziele. So können vorhandene Datenlücken klar aufgezeigt und von
Asset Managern identifiziert werden, die dies dann in ihrem Corporate
Engagement einsetzen und so in der Lage sind, Informationslücken zu schließen
und für ihre Kunden die besten und langfristig renditestärksten Investments zu
identifizieren. Das Thema Corporate Engagement kann und sollte ein noch
größerer Business Case und Differenzierungsmerkmal für Marktteilnehmer sein.
Meine Hoffnung wäre, dass hier die Branche das Thema Nachhaltigkeit nicht
nur als regulatorisches Muss begreift, sondern auch als Chance und als
Möglichkeit neue Ertragspotentiale für Ihre Kunden und somit auch für sich zu
erschließen.
VRD: Was sind die Gefahren
des derzeitigen Trends, möglichst viel in nachhaltige Produkte zu investieren ?
Inka Winter: Falsch und zu kurz ausgelegte
Nachhaltigkeit in dem Sinn, dass man einfach nur eine Checkliste von vorhanden
Daten abarbeitet und in die vermeintlich nachhaltigen, weil gut bewerteten,
Werte investiert, kann natürlich dazu führen, dass Gelder nur die großen
Unternehmen oder Projektbetreiber erreichen, die entsprechende Transparenz
bieten und daher als investierbar gelten. Es gibt durchaus Stimmen, die
kritisieren, dass ESG-Fonds zu stark in einzelne Sektoren bzw. Industrien und
Regionen ausgerichtet sind und sich dadurch Klumpenrisiken bilden.
Gleichwohl sehe ich die sinnvolle Einbindung von Nachhaltigkeit in
Investment- und Kreditprozesse eher als risikomindernd an.
VRD: Ich bedanke mich
herzlich für das nette und informative Gespräch, das wir gerne fortsetzen
können, wenn die EU-Regulierung noch konkreter wird!